Seit vielen Jahren engagiert sich die in Amsterdam lebende Eva Weyl an der Gesamtschule Hünxe. Dabei berichtet sie den Schüler:innen über ihre Zeit im KZ Westerbork und wie sie das menschenverachtende System des NS-Regimes überlebte.

Im Jubiläumsjahr der GSH konnten sich die Schüler:innen über eine Besonderheit freuen: Nach den Corona-Jahren, in denen Frau Weyl per Videokonferenz in die Klassenräume zugeschaltet wurde, war sie nun zum ersten Mal wieder persönlich vor Ort. Die GSH kam dabei in den Genuss von gleich zwei Vorträgen!

Vormittags berichtete sie in der vollen Schulaula Schüler:innen des 10. sowie 12. Jahrgangs über die Verfolgung der Juden während des Holocausts und das KZ Westerbork. Die Jugendlichen hingen dabei 90 Minuten lang gebannt an den Lippen der 88-jährigen Dame, die ihnen vor auf der Bühne von ihrem (Über-)Leben berichtete. Das KZ Westerbork sei ein besonderes Lager gewesen, nicht wie die bekannten Vernichtungslager im Osten Europas. Die Inhaftierten seien nicht gefoltert worden, hätten Alltagskleidung tragen dürfen und es habe sogar zwei Schulen, ein Theater und ein Krankenhaus gegeben! Ein todkrankes Kind habe der Lagerkommandant sogar in die Universitätsklinik nach Groningen fahren lassen, damit es wieder voll genesen konnte. Denn nur, wer voll arbeitsfähig war, sei zum „Arbeitseinsatz“ in den Osten und damit in den Tod geschickt worden. Nach seiner Gesundung habe sich der Kommandant dann auch schnellstens dafür eingesetzt, dass das Kind mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert wurde. Die perfide Taktik ging auf. Trotz der Gerüchte über die groß angelegte Ermordung der jüdischen Bevölkerung im Osten konnten die Inhaftierten nichts davon glauben und wehrten sich nicht. „Warum sollte man sich hier so viel Mühe mit uns geben, nur um uns 2.000 km nach Osten zu fahren und uns dort zu ermorden“, so der ungläubige Tagebuch-Eintrag eines Häftlings, der im Krankenhaus behandelt wurde.

Unterstützt wurde sie bei dem Vortrag vor den Jugendlichen wie auch in der Vergangenheit durch Anke Winter, die Enkelin eben jenes Lagerkommandanten, der Frau Weyls Familie beinahe das Leben gekostet hätte. Trotzdem steht der Vortrag unter dem Titel: „Zwei besondere Freundinnen“. Denn genau dies soll der Vortrag beweisen. Nachkommen von Tätern und Opfer können sich miteinander aneinander annähern, Schuld wird nicht in spätere Generationen vererbt! Kennengelernt hatten sich die beiden Frauen durch Zufall. Entstanden sind daraus eine tiefe Freundschaft und eine Zusammenarbeit, die die Geschichte aus mehreren Perspektiven erzählt. Anke Winter, die mittlerweile in der Schweiz wohnt und sich digital zugeschaltet hatte, kann berichten, wie die Taten des Großvaters die eigene Familie prägten und wie schwierig der Umgang und die Aufarbeitung sind, wenn der eigene Großvater für die Tode zehntausender Menschen verantwortlich ist.

Umgang mit Schuld ist ein zentrales Anliegen, das Frau Weyl antreibt. Sie betonte dies auch vor den Schüler:innen: Keine lebende Person trage Schuld am Holocaust. Jeder Mensch aber hätte die Verantwortung davon zu berichten, um zu verhindern, dass sich etwas derartiges nie wieder wiederholen dürfe. Die Zeitzeug:innen wären in den meisten Fällen mittlerweile tot. Stattdessen müssten nun die Jugendlichen von heute zu „Zweitzeug:innen“ werden, die auch in der Zukunft von Ausgrenzung, Verfolgung und Grausamkeit gegenüber Minderheiten berichten und warnen können.

Der zweite Vortrag, den Frau Weyl an diesem Tag abends in der GSH hielt, stand allen Interessierten aus Hünxe und der Region offen. Viele ließen sich diese immer seltener werdende Gelegenheit, mit einer Zeitzeugin der NS-Zeit zu sprechen, nicht entgehen und fanden sich in der Aula der GSH ein. Nach einer Begrüßung durch Frau Krämer als Schulleiterin, Herrn Buschmann als Hünxer Bürgermeister und Herrn Merten als Koordinator des langjährigen Kontakts und Sprecher der Fachschaft Geschichte berichtete Frau Weyl erneut von ihren Erlebnissen. Hinzu kam ein Bericht und Einordnung des Buches „Warum die Deutschen? Warum die Juden“ des deutschen Historikers Götz Aly durch Frau Weyl. Sie nahm auch Bezug auf ihre Tätigkeit als Vortragende vor Jugendlichen in ganz NRW.

Der Schluss der Veranstaltung bewegt nochmal die Anwesenden. „Ich bin ein Glückskind“, sagt Frau Weyl und meint damit, dass sie überlebt habe, wo sie viele andere gestorben sind. Sie schließt ihren Vortrag mit dem einprägsamen Bild von drei verschiedenfarbigen Eiern: außen mögen sie verschieden sein, innen sind sie aber genau gleich. Nach Frau Weyls bewegender Geschichte ist es allen Anwesenden klar: dies muss man auch bei Menschen beachten und sich stets vor Augen führen, damit sich die Geschichte von Ausgrenzung, Neid und Gewalt nie wieder wiederholen kann!